Europa

Wirtschaftsweise warnen: Europas Energiekrise wird vermutlich noch jahrelang andauern

Europa könnte nach Ansicht von Wirtschaftsexperten noch mehrere Winter lang vor erheblichen Herausforderungen bei der Deckung des Energiebedarfs stehen. Damit die Region Ende kommenden Jahres nicht komplett dunkel bleibt, sei es demnach zwingend notwendig, mehr Energie einzusparen.
Wirtschaftsweise warnen: Europas Energiekrise wird vermutlich noch jahrelang andauernQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Heinz Gebhardt

Die Wirtschaftsweisen haben davor gewarnt, dass die Energiekrise in der EU womöglich noch viele Jahre andauern könnte, sollte es der Region nicht gelingen, die Nachfrage nach Gas zu senken und gleichzeitig neue Lieferungen des raren Energieträgers zu sichern. Das berichtet die Financial Times (FT) unter Berufung auf Führungskräfte und Strategen der Branche. Aktuell sind die Gasspeicher in der EU im Durchschnitt zwar zu 99,55 Prozent gefüllt, wie aus den Daten des Verbandes europäischer Gas-Infrastrukturbetreiber hervorgeht. Allerdings sei das nach Ansicht der Experten noch lange kein Garant dafür, dass im kommenden Jahr genügend Vorräte zur Verfügung stehen.

"Wir befinden uns in einer Gaskrise, und wir werden auch in den nächsten zwei oder drei Jahren in einer Art Krisenmodus bleiben", mahnte Sid Bambawale vom Rohstoffhandelshaus Vitol kürzlich auf dem Financial Times Commodities Asia Summit in Singapur. "Wir sollten also kein falsches Gefühl der Sicherheit entwickeln." Als Reaktion auf die vom Westen infolge des Ukraine-Krieges verhängten Sanktionen hatte Russland seine Gaslieferungen an die EU zuletzt massiv gedrosselt. Seither bemüht sich die EU erfolglos, Ersatzlieferanten zu finden. 

Damit sich die bereits jetzt schon beispiellose Energiekrise nicht noch weiter verschlimmert, sind sich die von der FT befragten Experten einig, müsse die EU jedoch zusätzliche Gaslieferanten finden und ihren Energieverbrauch zudem drastisch senken. So verringerte die Industrie ihren Gasverbrauch in den vergangenen Monaten zwar bereits deutlich – um bis zu 30 Prozent gegenüber den Vorjahren. Doch sei dies noch nicht genug, mahnte der Vitol-Vorstandsvorsitzende Russell Hardy mit Blick auf das kommende Jahr.

Denn die fehlenden Gaslieferungen über die Nord Stream-Pipelines haben große Lücken bei der Versorgung des Kontinents hinterlassen, auch wenn bereits Flüssigerdgas (LNG) aus anderen Quellen geliefert wird. Die Situation könnte sich noch verschlimmern, wenn der Streit zwischen dem russischen Erdgasförderunternehmen Gazprom und dem ukrainischen Pipeline-Betreiber Naftogaz eskaliert. Erst zu Beginn der Woche hatte die russische Seite damit gedroht, Naftogaz mit Sanktionen zu belegen, was auch die Gaslieferungen über die Ukraine beenden würde. Für die EU spitzt sich die Situation seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar kontinuierlich zu. Obwohl die EU anstrebt, ihre Gasimporte aus Russland weiter zu reduzieren und in fünf Jahren praktisch unabhängig zu sein, ist sie vorerst weiter auf russische Lieferungen angewiesen.

So haben die europäischen Länder ihre Importe von Flüssiggas zuletzt zwar erhöht und auch die notwendige Infrastruktur ausgebaut, doch nun müssen sich die Europäer auf dem Weltmarkt behaupten. Und hier könnte die Konkurrenz demnächst wieder größer werden. Nämlich dann, wenn ein Ende der strikten Lockdowns in China die chinesische Nachfrage wieder ansteigen lässt, wodurch die Preise unweigerlich zulegen würden. Auch wenn es sich die EU insgeheim wünscht − bislang können die zusätzlichen Lieferungen aus anderen Ländern die weggebrochenen Gasimporte aus Russland noch nicht ersetzen. Über die Leitung in der Ukraine liefert Russland derzeit rund 86 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag. Im letzten Jahr flossen im Schnitt 360 Millionen Kubikmeter pro Tag durch die Leitungen nach Europa. Das entspricht einem Rückgang von 76 Prozent, sagten Analysten der Nachrichtenagentur Reuters.

Bleibe das Angebot auf diesem Niveau, so die Analysten, dann stehe Europa vor einem Defizit von 155 Millionen Kubikmetern pro Tag. Die EU-Länder haben zwar vereinbart, den Energieverbrauch um bis zu 15 Prozent zu senken − das aber hilft nur über den Winter. Im kommenden Jahr könnten die Versorgungsprobleme zunehmen, worauf auch Hardy gegenüber der Financial Times hinwies. Um die Nachfrage nach dem Brennstoff auch über den Sommer weiter dämpfen zu können, sei es demnach zwingend notwendig, dass der Gaspreis weiterhin hoch bleibe. Ansonsten könnten die europäischen Vorräte bis Februar 2023 nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) von über 90 Prozent auf etwa 20 Prozent absinken. Um über den Winter 2023 zu kommen, so Hardy, müssten die Speicher über den Sommer wieder aufgefüllt werden. Bisher sei aber unklar, wie das geschafft werden solle.

Die europäischen Gaspreise werden im kommenden Jahr voraussichtlich bei durchschnittlich 108 Euro je Megawattstunde liegen − ein Vielfaches im Vergleich zu den Werten vor Kriegsbeginn. Deshalb zeigt sich der Experte vorsichtig optimistisch: "Die hohen Preise werden die Nachfrage in jedem Monat des nächsten Sommers weitgehend eindämmen müssen." 

Die Energieknappheit in der EU wurde Anfang Juli durch die ersten Unterbrechungen der russischen Lieferungen an eine Reihe von EU-Ländern dramatisch verschärft. Die Lieferkürzungen wurden auf Probleme bei der Wartung der Turbinen der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 zurückgeführt. Im September waren an den beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2 dann mehrere Lecks entdeckt worden, aus denen größere Mengen Erdgas an die Meeresoberfläche strömten. Nahezu alle politischen Akteure gehen mittlerweile davon aus, dass die Gaslecks an den Pipelines die Folge eines Sabotageaktes waren.

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