Europa

Bereit für den Krieg? – Sorgen um den Zustand der Streitkräfte in Großbritannien

Die britischen Streitkräfte sind nicht nur klein und schlecht ausgerüstet, ergaben verschiedene Analysen; in Großbritannien fehlt auch die materielle Grundlage, um an diesem Zustand etwas ändern zu können. Aktuelle Panzermodelle werden schon in Deutschland gebaut.
Bereit für den Krieg? – Sorgen um den Zustand der Streitkräfte in GroßbritannienQuelle: www.globallookpress.com © UK Ministry of Defence

Von Alexander Karpow und Wladimir Dujun

Die Streitkräfte Großbritanniens befinden sich im Verfall und hindern London daran, militärische und politische Macht in der gesamten Welt auszuüben, erklärte der Journalist und Militärhistoriker Max Hastings. Seinen Worten zufolge leiden die britischen Streitkräfte unter einem Mangel an Waffen, Kampfausrüstung und einer Verringerung der Truppenstärke. Darüber hinaus sei die Situation in der Royal Navy und im militärisch-industriellen Komplex des Landes zu beklagen, so der Fachmann. Militärexperten sind der Ansicht, dass die systemischen Probleme der britischen Streitkräfte selbst mit einer erheblichen Finanzspritze kaum behoben werden können, weswegen London in militärischer Hinsicht stark von den Vereinigten Staaten abhängig sein wird.

Der desolate Zustand der britischen Streitkräfte hindere das Land daran, seinen militärischen und politischen Einfluss in der Welt geltend zu machen. Diese Meinung vertritt der Journalist und renommierte Militärhistoriker Max Hastings in seiner Kolumne "It’s time for realism about our armed forces" in The Times.

In seinem Beitrag behauptet er, dass die britischen Streitkräfte durch Kürzungen und Defizite aller Art gelähmt seien und dass die jüngsten Versuche im Ausland, im Irak und in Afghanistan, militärische Gewalt einzusetzen, "ein beschämender Misserfolg" gewesen seien.

Darüber hinaus stellt der Journalist fest, dass sich die britischen Streitkräfte derzeit in einer Krise befinden, unter anderem wegen der Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung an die Ukraine, und dass die von der Regierung für 2021 bereitgestellten 24 Milliarden Pfund nicht ausreichen würden, um den gesamten Bedarf der britischen Armee zu decken.

"Den Personalabbau in der Armee (zuletzt von 82.000 auf 73.000) hätten die 30.000 Reservisten ausgleichen sollen. Jedoch ist die Situation bei der Rekrutierung von Reservisten äußerst ernst. Die Arbeitsmoral und Zuverlässigkeit der Reservisten ist auf einem niedrigen Niveau, nicht zuletzt wegen Überführung der für sie bestimmten Ausrüstung in die Ukraine", erklärt Hastings.

"Schlechte Leistung"

Abgesehen von diesen Problemen weist der Experte auch auf die Situation der Royal Navy hin. Während der Amtszeit von Boris Johnson verkündete London ehrgeizige Pläne auf der globalen Bühne, und der am 16. März 2021 veröffentlichte Text der Integrierten Beurteilung zu Fragen der Sicherheit, der Verteidigung und der Außenpolitik (Integrated Review of Security, Defence, Development and Foreign Policy) stellte den neuen Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth in den Mittelpunkt. Doch obwohl die Seestreitkräfte die meisten Mittel zugewiesen bekamen, sind sie laut dem Kolumnisten der Times auch in einem elenden Zustand. Er erklärte:

"Die Stärke der Royal Navy ist verschwindend gering. Einer ihrer beiden Flugzeugträger ist ein Schandfleck, der in eine Werft gehört."

Die Rede ist von dem neuesten britischen Flugzeugträger HMS Prince of Wales, der im Jahr 2020 für längere Zeit zur Reparatur geschickt wurde, nachdem Wasser in den Maschinenraum gelangt war. Und im August 2022, kurz nach dem Auslaufen aus Portsmouth, brach der Flugzeugträger vor der englischen Küste zusammen.

Hastings klagte darüber, dass die britische Schiffbauindustrie nicht in Bestform sei, wohingegen ausländische Werften qualitativ hochwertigere Schiffe zu einem niedrigeren Preis liefern. In Bezug auf den militärisch-industriellen Komplex des Landes insgesamt verwies der Journalist auf dessen schlechte Performance bei der Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Streitkräfte des Landes.

"Alle drei großen einheimischen Akteure (Großbritanniens Rüstungsunternehmen - RT) ‒ Rolls-Royce, BAE und Babcock ‒ liefern schlechte Leistung bei der Auftragsabwicklung", schreibt der Kolumnist.

Im Endeffekt hat dies dazu geführt, dass sich die britischen Behörden an das deutsche Unternehmen Rheinmetall wenden mussten, um die Challenger-3-Panzer zu produzieren, während London die in der Ukraine eingesetzten NLAW-Panzerabwehrsysteme vom französischen Rüstungskonzern Thales kaufen muss, der sie in seinem Werk in Belfast herstellt.

Zugleich, so Hastings, wolle der britische Verteidigungsminister Ben Wallace der nächste NATO-Generalsekretär werden und fordere genau aus diesem Grund eine Aufstockung der Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine, an denen es der britischen Armee selbst fehle.

In einem Kommentar zu diesen Thesen bemerkte Professor Wladimir Winokurow von der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums gegenüber RT, dass der Zustand der britischen Streitkräfte den Zustand des Landes insgesamt widerspiegele.

"Das Vereinigte Königreich hat seinen Status als Seemacht und Supermacht schon lange verloren. Dieser Status ist durch eine souveräne Außenpolitik, wirtschaftliche und militärische Macht bestimmt. Im Hinblick auf Letzteres sind das britische Militär und der militärisch-industrielle Komplex nicht in der Lage, mit den drei militärisch mächtigsten Ländern zu konkurrieren: den USA, Russland und China. Großbritannien kann sich heute auch nicht mit seinen ökonomischen Indikatoren rühmen: Das Land verzeichnet eine übermäßig hohe Inflation und das BIP ist rückläufig", unterstrich der Politikwissenschaftler.

Wenn wir über die Ukraine sprechen, trage der Einsatz von Waffensystemen in einem realen Konflikt normalerweise zur Entwicklung des militärisch-industriellen Komplexes bei, im Falle Großbritanniens sei jedoch das Gegenteil der Fall, fügte Winokurow hinzu.

"Großbritannien befindet sich jetzt in einem wirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Engpass, so dass eine weitere Entwicklung der Rüstungsindustrie auf der Forschungsebene und der tatsächlichen Produktion nicht in Frage kommt. Alles, was sie in der Ukraine tun, ist einfach nur die Unterstützung der amerikanischen Politik 'Krieg bis zum letzten Ukrainer'. Diese Situation bringt ihnen nichts außer Kosten, moralischer, politisch-militärischer und wirtschaftlicher Degradierung", erklärte der Experte.

"Beschämende" Situation

Es sei darauf hingewiesen, dass nicht nur nationale Medien über den kaum idealen Zustand der britischen Streitkräfte berichten. Bereits 2021 veröffentlichte der Verteidigungsausschuss des britischen Parlaments einen Bericht über die Formierung neuer Einheiten von Bodentruppen und deren gepanzerte Ausrüstung, in dem die Autoren feststellten, dass das Land "etwa vier weitere Jahre benötigt, um eine 'kampffähige Division' zu bilden, die in ihrem derzeitigen Zustand hoffnungslos schlecht ausgerüstet ist und nicht einmal über drei Brigaden verfügt".

"Wenn die britischen Streitkräfte in den nächsten Jahren in Osteuropa gegen einen 'gleichwertigen Gegner' in den Kampf ziehen müssten ‒ ein Euphemismus für Russland ‒ würden unsere Soldaten zweifellos weiterhin zu den besten Soldaten der Welt gehören, doch wären sie in beschämender Weise gezwungen, dies mit einer Kombination aus alternden oder sogar veralteten gepanzerten Fahrzeugen (von denen die meisten mindestens 30 Jahre oder älter sind) mit schlechter mechanischer Zuverlässigkeit und einer gravierenden Überlegenheit (des Gegners ‒ RT) mit modernen Raketen- und Artilleriesystemen zu tun", heißt es in dem Bericht.

Nach Auffassung des Militärexperten Alexej Leonkow seien die Probleme der britischen Streitkräfte systembedingt und hätten sich über viele Jahre hinweg herausgebildet.

"Die Streitkräfte Großbritanniens leiden seit langem unter Problemen bei der Ausrüstung von Personal und der Technik. Es gibt nicht besonders viele Menschen, die bereit sind, der britischen Krone zu dienen. Und die Produktion von Kampfpanzern des Typs Challenger 2 ist schon lange eingestellt, ohne dass sie durch neue Panzer ersetzt werden. Gleichzeitig wird beobachtet, wie sich die Panzerflotte aufgrund von Pannen verkleinert", sagte er.

Die britischen Behörden möchten den Militärhaushalt aufstocken, um die Fehlentwicklungen der 1990er Jahre zu beheben, als die Armee einen Niedergang erlebte, erinnerte Leonkow.

"Allerdings gibt es zu viele Probleme. Selbst mit viel finanziellem Aufwand ist es unmöglich, diese Probleme zu lösen. Dieselbe Situation herrscht bei der Marine: Schiffe und U-Boote müssen überholt werden", betonte der Gesprächspartner gegenüber RT.

Eine ähnliche Situation herrsche im militärisch-industriellen Komplex Großbritanniens, betonte Leonkow. Momentan schicke London im Rahmen des so genannten zirkulären Austauschs seine illiquiden Militärgüter nach Kiew und erhalte dafür modernere Waffen und Ausrüstung aus den USA, so der Experte weiter.

"Zu Beginn der 2000er Jahre entfielen auf das Vereinigte Königreich etwa sieben Prozent des internationalen Waffenmarktes; im vergangenen Jahr lag dieser Anteil bei weniger als einem Prozent. Man kann also davon ausgehen, dass sich das Vereinigte Königreich als eigenständige wirtschaftliche und militärische Einheit faktisch aus dem Markt zurückgezogen hat. Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen, denn es war eines der Hauptziele der USA bei der Gründung der NATO, die Mitglieder des Bündnisses in direkte Abhängigkeit der amerikanischen Waffenlieferanten zu bringen. Durch die Konflikte im Nahen Osten und in der Ukraine vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise hat die militärische Abhängigkeit Großbritanniens von den USA zugenommen", schlussfolgerte der Analytiker.

Übersetzt aus dem Russischen.

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