Meinung

Erdoğans Träume vom neuen Osmanischen Reich: Warum eskaliert Lage zwischen Iran und Aserbaidschan?

Der neoosmanische Präsident der Türkei träumt von einem türkisch-muslimischen Korridor durch Eurasien. Demnach hat die Türkei zum Ziel, die Enklave Nachitschewan über den Sangesur-Transportkorridor mit Aserbaidschan zu verbinden. Damit soll eine direkte Verbindung über das Kaspische Meer in Richtung Osten nach Zentralasien geschaffen werden.
Erdoğans Träume vom neuen Osmanischen Reich: Warum eskaliert Lage zwischen Iran und Aserbaidschan?Quelle: AFP © Timothy A. Clary

Ein Kommentar von Seyed Alireza Mousavi

Die angespannte Lage zwischen Aserbaidschan und Iran hat sich in den vergangenen Tagen zugespitzt, nachdem Iran ein groß angelegtes Militärmanöver an der Grenze zu Aserbaidschan gestartet hatte. Die Iranische Militärübung folgte auf eine gemeinsame Übung des türkischen, aserbaidschanischen und pakistanischen Militärs in Baku. Das Eskalationspotenzial mit Iran war seit der Staatsgründung Aserbaidschans noch nie so hoch wie derzeit. Die beiden Staaten scheinen sich seit dem Krieg in Bergkarabach im Jahr 2020 auf einem Konfrontationskurs zu befinden.

Der Schattenkrieg zwischen Iran und Israel hat längst eine neue Eskalationsstufe erreicht, seit Aserbaidschan zunehmend die Annäherung zu Israel, dem Erzrivalen Irans, sucht. Teheran glaubt, dass Aserbaidschan längst der Rückzugsort des israelischen Geheimdienstes in der Region geworden sei. Iran hat durch seine Verbündeten Hisbollah und die Assad-Regierung in Syrien Israel an dessen Grenze faktisch schon längst eingekesselt. Und Israel arbeitet ebenso offensichtlich daran eine neue Front gegen Teheran an der iranischen Grenze zu eröffnen.

Iran beschuldigte Aserbaidschan bereits mehrfach, dschihadistische Söldner aus Idlib mithilfe der Türkei ins Land verlegt zu haben. Im Zuge des Krieges in Bergkarabach hatte im Oktober 2020 auch der französische Präsident Macron die türkische Regierung aufgefordert, die Verlegung von dschihadistischen Kämpfern aus Syrien nach Bergkarabach aufzuklären.

Die Spannungen zwischen Iran und Aserbaidschan hatten sich zuletzt deutlich zugespitzt, nachdem Aserbaidschan damit begonnen hatte, Gebühren von iranischen Lastwagen auf einer Straße durch Südarmenien zu erheben, die an einigen Stellen durch aserbaidschanisches Territorium führt. Anfang Oktober 2021 wurden mehrere iranische LKW-Fahrer auf dem Weg nach Armenien über Aserbaidschan angehalten und festgenommen. Die iranischen Fahrer wurden in den umstrittenen Gebieten angehalten, die Aserbaidschan im letzten Bergkarabachkrieg zurückerobert hatte. 

Die neuen Spannungen im Kaukasus nehmen nun allerdings eine neue Dimension an. Denn die Verschiebung geopolitischer Machtblöcke und Allianzen im Nahen und Mittleren Osten geht anscheinend mit einem mutmaßlichen Versuch einher, die Landkarte in der Region zu verändern. Es besteht nämlich der Verdacht, dass die Türkei versucht, die Enklave Nachitschewan mit Aserbaidschan zu verbinden, und zwar über den Sangesur-Transportkorridor. Iran warnte kürzlich vor Grenzveränderungen im Kaukasus.

Die Türkei will mit diesem möglichen Schritt faktisch die Grenznachbarschaft zwischen Iran und Armenien für immer beenden, sowie den Initiatoren des Nord-Süd-Korridors Steine in den Weg legen. 

Im Jahr 2015 bot sich Ankara bereits als Ausgangspunkt für einen "Mittleren Korridor" an, der sich durch den Kaukasus und Zentralasien erstreckt, um damit eine neue Route zwischen China und Europa im Rahmen der Neuen Seidenstraße zu markieren. Der 7500 Kilometer lange Transkaspische Ost-West-Mittelkorridor der Türkei ist ein ehrgeiziges Projekt, das parallel zum Nordkorridor der neuen Seidenstraße verläuft, der China mit Europa verbindet. 

Die entscheidende Rolle der Türkei in Aserbaidschans siegreichem Krieg gegen Armenien im Jahr 2020 ebnete den Weg für Erdoğan, dem Mittleren Korridor neues Leben einzuhauchen. Denn ein Teil des Bergkarabach-Abkommens sah den Bau einer Transport-Autobahn durch dieses Gebiet vor, um Güter und Menschen aus der Türkei über Aserbaidschans Exklave Nachitschewan und Armenien bis ins aserbaidschanische Hinterland zu transportieren. 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan baut seinen Einflussbereich in den Grenzen des ehemaligen Osmanischen Reiches konsequent aus. Die zweite Komponente seiner geopolitischen Strategie ist die Wiederherstellung der sogenannten "Großen Turans" in den turksprachigen Regionen Asiens. Im Züge dieser Politik träumt er von einem türkisch-muslimischen Korridor durch Eurasien. Demnach hat die Türkei zum Ziel, die Enklave Nachitschewan über den Sangesur-Transportkorridor mit Aserbaidschan zu verbinden – und zwar auf Kosten der armenischen Souveränität – um damit eine direkte Verbindung über das Kaspische Meer in Richtung Osten nach Zentralasien zu schaffen. Dieses "Tor der Türkei" gen Osten gibt dem türkischen Staat auch die Möglichkeit, Dschihadisten von Idlib über Aserbaidschan nach Afghanistan und Xinjiang reibungslos zu verlegen.

Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan unterstrich seinerzeit, dass in der trilateralen Erklärung vom 9. November 2020 weder "Sangesur" noch das Wort "Korridor" erwähnt würden, und dass es in dem Abkommen nur darum gehe die regionale Kommunikation freizugeben.

Dabei sieht die Türkei auch den von Iran, Russland und Indien entwickelten Nord-Süd-Korridor als eine mögliche Herausforderung für die türkischen Ambitionen an. Und das, obwohl die Türkei selbst Mitglied dieses Projektes ist. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass das Megaprojekt direkt durch türkisches Gebiet verlaufen wird. Pakistan hat auch in diesem Zusammenhang gemeinsame Sicherheitsbedenken mit der Türkei. Denn schließlich ist sein Rivale Indien Mitgestalter des Nord-Süd-Korridors.

Vor dem Hintergrund der neuen Spannungen zwischen Iran und Aserbaidschan unterstrich der russische Außenminister Lawrow auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem iranischen Amtskollegen in Moskau, dass Russland gegen jegliche Ausweitung der militärischen Aktivitäten und Militärübungen mit provokativem Charakter von beiden Seiten ist. Was die Einmischung ausländischer Staaten in die Kaspische Region betrifft, sagte Lawrow, dass die Konvention über den Rechtsstatus des Kaspischen Meeres so bald wie möglich in Kraft treten müsse. Diese würde die Anwesenheit von Streitkräften nicht kaspischer Staaten am Kaspischen Meer ausdrücklich verbieten. Damit signalisierte Lawrow, dass Russland sich in Zukunft gegen eine Militärpräsenz Pakistans und der Türkei am Kaspischen Meer aussprechen wird.

Die Türkei ist offenbar dabei sich neu in der Region zu orientieren, und sucht deswegen die Annäherung an Russland und China. Das Land ist seinem Präsidenten jedoch als Bühne schon längst zu klein. Erdoğan wird aber an seinen Visionen scheitern, wenn er an der Neubelebung der "großtürkischen" osmanischen Vergangenheit festhält. 

Russland plädiert nach dem fluchtartigen Abzug des Westens aus Afghanistan für eine stärkere eurasische Partnerschaft. Die Türkei kann insofern ihren Einfluss in der Region ausbauen. Wenn sie sich ausdrücklich von der NATO distanziert und sich in eurasische Projekte wie die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) auf Basis von Konsens integriert.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln. 

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