Meinung

Fiasko des Erdgas-Blitzkriegs gegen Russland – Deutschlands Wirtschaft zerschellt an der Realität

Feierlich abgeschworen hat Deutschland dem Erdgas aus Russland. Doch nun zahlt die deutsche Wirtschaft nicht nur den mehrfach höheren Preis für LNG an US-Unternehmen, sondern auch an russische Firmen – für Mineraldünger, der mit demelben russischen Erdgas hergestellt wird.
Fiasko des Erdgas-Blitzkriegs gegen Russland – Deutschlands Wirtschaft zerschellt an der RealitätQuelle: Sputnik © Alexander Krjaschew

Von Kirill Strelnikow

Für alles auf der Welt zahlt man bekanntlich einen Preis – und lediglich für Dummheit, Feigheit und Verrat bezahlt man ihn zweimal. Kürzlich noch umschifften die westlichen Mainstream-Medien das heikle Thema des wahren Preises, den Europa für seine Sanktionen gegen Russland und die praktisch unmittelbare Teilnahme am Ukraine-Konflikt zahlt beziehungsweise noch zahlen wird. Doch früher oder später bahnen sich Fakten eben den Weg ans Licht der Welt.

Putzig indes, dass über gravierendste Probleme Europas als Ganzes und Deutschlands insbesondere ausgerechnet ein US-Fernsehsender berichtet, CNBC. Als würde ein Hütchenspieler sich rühmen, einen reichen Einfaltspinsel gekonnt um dessen Geld gebracht zu haben: Mit dürftig verborgener Schadenfreude zitierten die Journalisten den Chefvolkswirt der Berenberg Bank Holger Schmieding, der Geist der deutschen Wirtschaft sei "im Sturzflug", denn deutsche Firmen seien zur Umsiedelung ihrer Produktionsstätten in Länder mit billigerem Strom und Erdgas gezwungen.

Nanu? War da nicht etwas, im März 2022? Hatte denn nicht Wirtschaftsminister Robert Habeck, vor lauter Stolz von einer Sekunde auf die nächste zu platzen drohend, Washington Rechenschaft abgelegt, Deutschland breche alle Verbindungen zu Russland im Eiltempo ab – und feierlich geschworen, zum Jahr 2024 dem russischen Erdgas vollständig zu entsagen?

Doch kaum sind eineinhalb Jahre vergangen – und schon ist der Geschmack des deutschen Bieres, CO-frei, wie es nun ist, kaum noch wiedererkennbar abgestanden: Nach Vorhersagen des Weltwährungsfonds wird Deutschlands Wirtschaft die einzige bei der G7 sein, die zum Jahresende nicht gewachsen sein wird – sondern geschrumpft. Verbraucherpreise schlagen Rekorde (allen im August sind sie um 6,2 Prozentpunkte gewachsen), die Volumina der industriellen Produktion fallen, Inflation und Staatsverschuldung wachsen, die wirtschaftliche Aktivität ist auf einem Dreijahrestief.

US-Flüssigerdgas mit Molekülen der Freiheit und Demokratie erwies sich im Vergleich zu russischem Pipelinegas als wesentlich teurer. Preiserhöhungen für Treibstoff verteuerten auch den Strom – und Windräder samt Sonnenkraftwerken stehen sozusagen nervös und beschämt in der Ecke und rauchen Kette. Deutsche Firmen wandern aufgrund exorbitanter Strompreise zunehmend in die USA ab oder schließen gleich ganz. Energieintensive Produktionszweige wie Metallurgie, Papierherstellung, Keramik- und Glasindustrie warten nur auf ihre letzte Ölung, bevor sie in Deutschland als Klasse aussterben. Noch vor Russlands militärischer Spezialoperation in der Ukraine verlor Deutschland aufgrund der russlandfeindlichen Sanktionen an die 5,5 Milliarden Euro jährlich – heute darf man diese Summe wohl getrost mit zehn multiplizieren.

Gut, die Deutschen könnten heute voll desselben Stolzes wie damals ihr Wirtschaftsminister erklären:

"Ja, wir zahlen unseren Preis für einen Sieg über das aggressive Russland und für all unsere europäischen Werte – doch die Abhängigkeit sind wir ja aber losgeworden!"

Allein, der Erdgas-Dolchstoß schlich sich unmerklich an: Nachdem Deutschland seine horrende Energieträger-Abhängigkeit von Russland per aspera ad acta legte, schnappte unmittelbar danach die Falle der russischen Düngemittel zu – und lässt Deutschland nicht los. Importierte die BRD zuvor um die fünf Prozent seiner benötigten Düngemittel, so sind es jetzt nahezu 20 Prozent, weil die Herstellung im Lande außerordentlich teuer wurde. Mengen an Düngemittel, die spezifisch aus Russland nach Deutschland importiert werden, wuchsen derweil um 334 Prozent und damit auf gut das Vierfache an. Und bedenkt man, dass 80 bis 90 Prozent der Ausgaben bei Düngemittelherstellung auf Erdgas und Energie entfallen, so ergibt sich: Die Deutschen haben de facto den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Oder Gazprom mit PAO Akron, wenn Sie mögen. Und zahlen dabei noch reichlich drauf.

Stefan Keuter, für die AfD im Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie, erklärte jüngst: Die politisierte und kurzsichtige Entscheidung zum Einfuhrstopp fossiler Energieträger aus Russland führe zum Preiswachstum – für die Bürger der BRD wie für deren Industrie. Deswegen rutsche Deutschland in die Deindustrialisierung ab und verliere Stellung um Stellung in der internationalen Arena.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel kann man sehr unterschiedlich bewerten – doch auch sie warnte zumindest eine gewisse Zeit lang sehr ausdrücklich: Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland sei zwingend notwendig, während Sanktionen gegen Russland eher Deutschland als Russland schaden würden.

Heute pflichten ihr andere deutsche Politiker bei. Beispielsweise hielt Sevim Dağdelen (Die Linke) in ihrem Interview mit der Berliner Zeitung fest:

"Um Russland zu ruinieren, wird auf die lange Wirkung der völkerrechtswidrigen Strafmaßnahmen gehofft. Doch die Wirklichkeit ist eine andere. […] Die Sanktionen stärken paradoxerweise Russland, während die deutsche Wirtschaft sehenden Auges ruiniert wird."

Deutschlands Mittelstand und Großbetriebe, beide von allseitigen politischen Einschränkungen in die Ecke getrieben, hegen noch vorsichtige Hoffnung auf eine Rückkehr zum Alten. Michael Harms, der Geschäftsführer des Ost-Ausschuss-Osteuropavereins (OAOEV) der Deutschen Wirtschaft, erinnerte sich im Gespräch mit TASS wehmütig-verträumt:

"Grundsätzlich gab es eine großartige Beziehung. Wir haben sehr davon profitiert, wir haben nicht nur gute Ressourcen erhalten, sondern auch viel investiert, ich persönlich habe lange Zeit in Russland gearbeitet – es war eine großartige Zeit und eine großartige Perspektive."

Den russischen Markt verlassen zu müssen, erwies sich für die deutschen Firmen als "großes Problem", so Harms weiter.

"Doch sie können nach der Beilegung politischer Differenzen zwischen den beiden Ländern und Aufhebung der Sanktionen zurückkehren."

Nun ja, Herr Harms ...

Ihr Zug ist leider abgefahren. Aber fliegen Sie mit der Aeroflot hinterher, dann holen Sie ihn vielleicht noch ein.

Mehr zum Thema – Zivilluftfahrt unter Sanktionen: Rekordgewinne für Russland, Westen zahlt drauf

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 06. September 2023.

Kirill Strelnikow ist ein russischer freiberuflicher Werbetext-Coach und politischer Beobachter sowie Experte und Berater der russischen Fernsehsender NTV, Ren-TV und Swesda. Er absolvierte eine linguistische Hochschulbildung an der Moskauer Universität für Geisteswissenschaften und arbeitete viele Jahre in internationalen Werbeagenturen an Kampagnen für Weltmarken. Vertritt eine konservativ-patriotische politische Auffassung. Mitgründer und ehemals Chefredakteur des Medienprojekts PolitRussia. Erlangte Bekanntheit, als er russische Journalisten zu einem Treffen des verfassungsfeindlichen Aktivisten Alexei Nawalny mit US-Diplomaten im Jahr 2015 lotste. Schreibt Kommentare vor allem für RIA und Sputnik.

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