Meinung

Die wahren Propagandisten sind jene, die das Interview von Tucker Carlson mit Putin verurteilen

Werden westliche Medien über ihre Egos und über die Narrative des Establishments hinausblicken, um die Erkenntnisse aus dem Gespräch zwischen einem US-Journalisten und dem russischen Präsidenten zu nutzen? Wenn man eine bestimmte Agenda verfolgt, wahrscheinlich nicht.
Die wahren Propagandisten sind jene, die das Interview von Tucker Carlson mit Putin verurteilenQuelle: Sputnik © Gavriil Grigorow

Von Rachel Marsden

Die Medien des US-Establishments verbrachten im Vorfeld des Interviews von Tucker Carlson mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ihre Tage damit, das Interview von vornherein als Propaganda zu verurteilen. Zahlreiche Meinungen etablierter Persönlichkeiten wurden eingeholt, wie jene der ehemaligen US-Außenministerin, First Lady und Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, die Carlson kurzerhand als "nützlichen Idioten" abtat.

Und das alles, bevor überhaupt irgendjemand eine Ahnung von dem Inhalt des Interviews hatte. Sie wussten nur, dass Putin die Möglichkeit bekommen wird, sich zu äußern. Und seit Tucker Carlson den US-Sender Fox News verlassen hat und unabhängig wurde, gibt es keine erkennbare Person des Establishments mehr, das ihn in Schach halten oder kontrollieren könnte, was bei so einem Interview am Ende herauskommt. Schlimmer noch, es wurde im Vorfeld angekündigt, dass das Interview auf der Plattform X (ehemals Twitter) ausgestrahlt wird. Diese Plattform gehört Elon Musk, der sich selbst als "Absolutist der Meinungsfreiheit" bezeichnet. Es verhieß also nichts Gutes für die Art von propagandistischer Oberhand, dass das westliche Establishment genießt, wenn es darum geht, Narrative unter dem Vorwand des Kampfes gegen Fake News zu unterbinden.

Die Tatsache, dass Journalisten allein bei der Vorstellung, dass Tucker Carlson ein Interview mit Wladimir Putin abhalten würde, Gift und Galle spuckten, stinkt nach beruflichem Neid. Es gibt keinen glaubwürdigen Journalisten auf dieser Welt, der nicht die Gelegenheit beim Schopf ergreifen würde, wenn sich die Möglichkeit böte, Wladimir Putin zu interviewen. Deshalb haben sie, wie Journalisten von CNN und der BBC bestätigten, lange für eigene Interviewtermine mit Putin angefragt – erfolglos. Vermutlich war das Sendungsformat von Carlson, seine Reichweite beim Publikum und seine Freiheit von den Zwängen der etablierten Medien, für den Kreml attraktiv genug, um ihm die Chance zu geben, mit Putin zu sprechen. Gut für ihn und für die journalistische Bilanz, die von allen Beiträgen nur profitieren kann.

Es ist nicht so, dass andere Medien nicht auch davon profitieren, wenn ihre Kollegen Putin befragen. Ich habe das selbst erlebt, als ich eingeladen war, während einer von Putins Marathon-Pressekonferenzen eine Frage zu stellen. Um es festzuhalten: Niemand wusste, was ich fragen würde. Ich auch nicht, denn während ich aufstand, um meine Frage zu stellen, hatte ich plötzlich fünf oder sechs verschiedene Themen in meinem Kopf. Letztlich ging es mir um die Frage, was Putin über die Behauptung des damaligen Präsidenten Donald Trump dachte, der Islamische Staat sei in Syrien besiegt worden – was Trumps Begründung für seine Ankündigung am Vortag war, die US-amerikanischen Truppen abzuziehen. Putins Antwort, der Trumps Einschätzung zustimmte, war berichtenswert und wurde umgehend von CNN und anderen westlichen Medien aufgegriffen. Der Unterschied zwischen mir und Tucker Carlson? Kein anderes Medium musste mich als Urheber der Frage nennen. Die von Putin beantwortete Frage konnte also bedenkenlos genutzt werden, ohne einen "Konkurrenten" nennen zu müssen und ohne, dass das Ego verletzt wurde, wie es bei Pressekonferenzen oft der Fall ist. Das gilt aber nicht bei Exklusivinterviews.

Die Fokussierung auf Carlson als eine Art makelbehafteten Boten dient als bequemer Vorwand, um wichtige Informationen und Ansichten zu ignorieren. Die Tatsache, dass einige Journalisten vielleicht denken, dass die Fragen oder die Herangehensweise von Carlson für einen Journalisten ungebührlich waren – oder dass er nicht energisch genug nachhakte – bedeutet nicht, dass sie Putins Aussagen nicht anschließend selbst analysieren können. Jede noch so kleine Information, Ansichten oder jedes Interview eines globalen Staatsführers ist ein wertvoller Beitrag. Lackmustests haben im objektiven, unparteiischen Journalismus keinen Platz. Viele von denen, die Carlson kritisieren, sind dieselben, die routinemäßig die Datenbank von Wikileaks nach durchgesickerten Verschlusssachen durchsuchen, um ihre eigenen Geschichten über verschiedene politische Themen und Ereignisse zu konkretisieren – und sich dabei weigern, anzuerkennen, dass der Herausgeber von Wikileaks, Julian Assange, genauso ein Journalist ist wie sie selbst.

Der "Makel" von Carlson kam wohl sogar der amerikanischen und weltweiten Öffentlichkeit zugute. Ähnlich wie Carlson vor dem Interview fälschlicherweise behauptete, dass andere Journalisten sich nicht die Mühe gemacht haben, Putin zu interviewen, bis er dann im Kreml aufgekreuzt sei, legte er auch mit seiner allerersten Frage an den russischen Präsidenten schnell und locker los. Carlson sprach Putin darauf an, dass er in seiner Rede an die Nation vom 22. Februar gesagt habe, dass er "zu dem Schluss gekommen sei, dass die Vereinigten Staaten über die NATO einen – Zitat – 'Überraschungsangriff' auf Russland lancieren könnten". Putin entgegnete: "Das habe ich nicht gesagt. Führen wir eine Talkshow oder ein ernsthaftes Gespräch?"

Der Mangel an Präzision von Carlson, der wie ein Typ klang, der dachte, er unterhalte sich mit einem anderen Typen in einer Bar bei einem Bier, bot Putin die Gelegenheit, eine Geschichtsstunde über die Entstehung des Ukraine-Konflikts abzuhalten, die 2.000 Jahre zurückreicht. Es ist jene Art von ausführlicher Gesprächskultur, die in den Mainstream-Medien der USA nur noch selten zur Anwendung kommt, in Europa aber an der Tagesordnung ist. Für ein amerikanisches Publikum, das an eine strikte Diät von kurzen Zitaten und Schlagwörter gewöhnt ist, konnte dies nur von Nutzen sein – insbesondere in einem Land, in dem landesweiten Tests zufolge nur noch 14 Prozent der Achtklässler als geschichtskundig gelten.

Es gab viele Dinge, die Putin sagte, die ein großer Teil des westlichen Publikums wahrscheinlich zum ersten Mal gehört hat. Dass die Vorstellung, dass Russland eine nukleare Bedrohung für den Westen darstellt, Panikmache sei, um den US-Steuerzahlern noch mehr Geld abzujagen. Dass Russland immer offen für Verhandlungen mit der Ukraine war, Präsident Wladimir Selenskij jedoch ein Dekret erließ, das solche Verhandlungen verbiete. Dass der frühere britische Premierminister Boris Johnson, der als Washingtons Schoßhündchen agierte, vor anderthalb Jahren interveniert habe, um ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine zu sabotieren. Dass die Unruhen in der Ukraine im Jahr 2013 begannen, als der damalige ukrainische Präsident ein Assoziierungsabkommen mit der EU ablehnte, weil es faktisch dazu geführt hätte, dass die Grenzen zum Handelspartner Ukraine geschlossen worden wären, weil Moskau befürchtete, über die Ukraine und den zollfreien Handel zwischen den beiden Staaten mit EU-Produkten überschwemmt zu werden.

Zu erfahren war auch, dass Deutschland sich jetzt dafür entscheiden könnte, die einzige verbleibende Pipeline von Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, wenn Berlin das wolle, um den Druck auf seine Wirtschaft und die Lebensumstände der Deutschen zu verringern, die unter dem Fehlen von günstigem, russischem Gas leiden. Dennoch entscheide sich Berlin stur dagegen. Dass Russland keine territorialen Ambitionen hat und lediglich wolle, dass keine Waffen mehr in die Ukraine und in die Hände von Neonazis gelangten. Dass der einzige Grund für Russland jemals in Polen oder einem anderen Teil Europas einzumarschieren, der wäre, dass Polen oder die baltischen Staaten Russland militärisch angreifen würden.

Gegen Ende plädierte Carlson für die Freilassung des Journalisten der Wall Street, Evan Gershkovich, der wegen Spionagevorwürfen in Russland inhaftiert ist. "Ich weiß nicht, für wen er gearbeitet hat. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass es sich um Spionage handelt, wenn man geheime Informationen heimlich erhält. Er arbeitete für die US-Geheimdienste oder andere Behörden", sagte Putin. Während des Kalten Krieges ergaben Anhörungen des Church-Ausschusses, eines Sonderausschusses in Washington, dass Dutzende Spione als Journalisten für die CIA tätig waren. Es ist eine bequeme Möglichkeit für Spione, an das zu kommen, was sie benötigen, denn die Arbeit unterscheidet sich nicht wirklich – beide sind in der Informationsbeschaffung tätig. Der Unterschied besteht jedoch darin, wer diese Informationsbeschaffung in Auftrag gibt. Ein Medienunternehmen oder eine Regierung? Und wer der Nutznießer dieser Information ist – ein Geheimdienst oder die Öffentlichkeit?

Es ist eine Praxis, die auch heute noch praktiziert wird, was viele Journalisten, die im Ausland gearbeitet haben, bestätigen können. Ohne nähere Angaben zu machen, deutete Putin an, dass im Fall von Gershkovich Spionage im Spiel war und die Angelegenheit zwischen den US-amerikanischen und russischen Diensten geklärt werde. Das klingt nicht gerade nach dem Narrativ, das der westlichen Öffentlichkeit aufgetischt wird.

Der größte Erfolg des Interviews mit Putin besteht wohl darin, dass es der westlichen Darstellung einer schwarz-weißen globalen Landschaft einige dringend benötigte Grautöne hinzufügte. Das Problem für das westliche Establishment besteht darin, dass Grautöne bekanntermaßen schwer zu kontrollieren und schwer zu manipulieren sind, wenn man eine bestimmte Agenda verfolgt.

Aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Website findet man unter rachelmarsden.com

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