Meinung

Mehr Qualität durch weniger Kliniken? Lauterbachs Reform im Sinne der Bertelsmann-Stiftung

Geplante Krankenhausreform: Kleine Kliniken sollen großen Versorgungszentren weichen, die Lauterbach nach Leistungskriterien katalogisieren will. Weitere Wege für Patienten sind für den Gesundheitsminister kein Problem. Das entspricht einem Bertelsmann-Konzept von 2019.
Mehr Qualität durch weniger Kliniken? Lauterbachs Reform im Sinne der Bertelsmann-StiftungQuelle: www.globallookpress.com © Fabian Sommer

Von Susan Bonath

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält an seiner angekündigten Krankenhausreform fest. Er will damit für mehr Qualität sorgen, denn daran mangele es in deutschen Kliniken. Künftig soll das Budget der Einrichtungen weniger von Fallpauschalen, dafür mehr von Leistungsgruppen für Qualitätsstandards abhängen, in die Lauterbach die Häuser einteilen will. Ein Ende der Ökonomisierung der Versorgung bedeutet das aber nicht. Im Gegenteil: Lauterbach und seine Experten kalkulieren den Abbau kleiner regionaler Kliniken sogar ein und setzen so eine Empfehlung der Bertelsmann-Stiftung von 2019 um.

Kleine Kliniken schließen, um Personal zu sparen

Lauterbachs Experten gehören zu seiner dafür einberufenen Regierungskommission, ein Gremium aus Chefs und Sprechern diverser Fachgesellschaften und Privatkliniken, die offenbar wenig vom Klinikalltag mitbekommen. Die Kommission stellte vergangene Woche gemeinsam mit dem Minister einige Ergebnisse ihrer sogenannten Potenzialanalyse vor.

Wohin die Reise gehen soll, wurde dabei schnell klar: Die Versorgung dürfte damit noch mehr als jetzt schon ausgedünnt und zunehmend in größeren Städten zentralisiert werden. So könne man Personal einsparen, daran mangele es ohnehin. Vor allem für Bewohner ländlicher Gegenden wird dies künftig die Wege im Fall schwerer Erkrankungen weiter verlängern.

Im Sinne der Bertelsmann-Stiftung

Woran sich Lauterbachs Kommission orientiert, ist eindeutig erkennbar. Bereits 2019 riet die Bertelsmann-Stiftung zur Schließung von Hunderten Krankenhäusern, vor allem den kleineren, aus marktwirtschaftlicher Sicht unrentableren. Demnach könne eine Reduktion auf "deutlich unter 600 Häuser" die Qualität in der Versorgung sogar verbessern und "bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal abmildern".

Die Stiftung, die sich unter dem Deckmantel "gemeinnützig" für zahlreiche Sozialabbauprogramme in der Vergangenheit mitverantwortlich zeichnet, darunter die Agenda 2010, also die sog. "Hartz-Gesetze", führte vor vier Jahren dazu aus:

"Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) ist in unserem Auftrag der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an der Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien orientiert."

Das entspricht dem, was Lauterbach heute predigt. Im Sinne dieser Stiftung treibt der jetzige Gesundheitsminister schon seit über 20 Jahren die Ökonomisierung der Kliniken voran. Als Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie der Universität Köln warb er schon 2001 eifrig für die rasche Einführung des Fallpauschalen-Systems, welches er heute als zumindest teilweise destruktiv kritisiert. Seine Partei, die SPD, setzte wenig später mit den Grünen in der Regierung ein entsprechendes Gesetz um.

"Erhebliche Qualitätsdefizite"

Die Fallpauschalen, mit denen sich Krankenhäuser finanzieren müssen, haben zu allerlei Unbill geführt. Kliniken spezialisierten sich zunehmend auf lukrative Geschäftsfelder wie Knie- und Hüftoperationen. Auch für künstliche Beatmung winken hohe Fallpauschalen, weshalb schon häufiger der Verdacht aufkam, Kliniken würden Patienten länger als nötig an diese Maschinen anschließen, zum Beispiel 2019 in einer Klinik im rheinland-pfälzischen Frankenthal.

Weniger gewinnträchtige Sparten wie Kindermedizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe wurden allerorts abgebaut, Labore wurden ausgegliedert, die Essensversorgung der Patienten an externe Anbieter abgegeben. So musste Lauterbach bei der Pressekonferenz letzte Woche eingestehen:

"Bei den planbaren und auch bei den Notfalleinsätzen hat Deutschland erhebliche Qualitätsdefizite. (…) Wir haben deshalb im europäischen Vergleich nicht die beste Lebenserwartung, auch nicht die beste Entwicklung der Lebenserwartung."

Finanzierung nach Leistungskriterien

Dabei gebe der Bund sehr viel für die Klinikversorgung aus, so der Minister. Deutschland habe sogar die höchsten Ausgaben pro Kopf europaweit. Schuld daran seien die (von Lauterbach selbst mit geschaffenen) Strukturen, also das Fallpauschalen-System, nicht das Personal. Und dann brachte er sein Ansinnen fast im selben Wortlaut wie Bertelsmann schon 2019 auf den Punkt:

"Für mich steht nicht im Vordergrund der Reform, wie viele Krankenhäuser werden abgebaut, wie viele werden gerettet. Für mich steht im Vordergrund: Die Krankenhäuser, die nachher am Netz sind, die müssen bessere Qualität bringen als heute."

Er sprach von "irgendwie 75 Leistungsgruppen", in die man nun die Kliniken einsortieren und dies auch öffentlich publizieren wolle. Wer die festgelegten Leistungskriterien nicht wie gewünscht erfülle, bekomme auch kein Geld vom Bund, so Lauterbach.

Kritiker werfen Minister "Augenwischerei" vor

Doch wie will das Gesundheitsministerium die Kriterien genau definieren? Konkret ging darauf niemand ein, man arbeite noch daran, hieß es. Und: Kliniken, die häufiger bestimmte Operationen durchführten, seien darin versierter. Klar ist jedoch, dass eine kleine Klinik auf dem Lande weniger schwere Operationen durchführt als eine zentrale Großstadtklinik mit hoher Patientenzahl. Ist daran wirklich die Qualität messbar? Sollen künftig also alle schwer Kranken für ihre Behandlung in die nächste Großstadt reisen müssen?

Nicht alle gern gehörten Experten finden Lauterbachs Reformplan gut, wie unter anderem der Focus berichtete. Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, erklärte demnach:

"Lauterbach tut so, als könne man an ein paar Werten ablesen, ob ein Krankenhaus gut oder schlecht ist. Das ist Augenwischerei."

Auch Susanne Johna, Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, widersprach dem Minister: Natürlich könne man erfassen, wie häufig ein bestimmter Eingriff in einer Klinik gemacht wird, sagte sie. "Aber wie gut er gemacht wird, ist schwer zu sagen", so Johna und ergänzte: "Medizin ist nicht schwarz-weiß, da ist auch ganz viel grau."

Ein Gutachten der Bundesländer kaum zudem kürzlich zu dem Schluss, die Reform sei verfassungswidrig, weil sie Zuständigkeit von Bund und Ländern missachte. Ob das neue Gesetz die wohl am prekärsten aufgestellte Kindermedizin vor dem Zusammenbruch retten wird, wovor derzeit gut 67.000 Unterstützer einer Petition warnen, ist ebenfalls unwahrscheinlich.

Kommission aus Lauterbach-Fürsprechern

In der Regierungskommission arbeiten die Kritiker freilich nicht mit. Dort finden sich zumindest an vorderster Front allein Lauterbachs Fürsprecher, die den Abbau kleinerer Kliniken auf dem Land genauso gut finden wie er. Mehr Zentralisierung und Spezialisierung ist in Ihren Augen die Lösung für derzeitige Mängel.

In solchen Zentren könne man beispielsweise viel besser so häufige Erkrankungen wie Schlaganfälle und Krebs behandeln oder Knie- und Hüftoperationen durchführen, erklärte Kommissionsleiter Tom Bschor. Dadurch seien auch Tausende Todesfälle oder bleibende Schäden vermeidbar. Er sagte, in Deutschland gebe es sogar gerade durch den Betrieb vieler kleiner Kliniken eigentlich im Ländervergleich zu viel Krankenhauspersonal. Ebenso teuer seien die Investitionen, die für viele kleine Häuser nötig seien.

Mehr Todesfälle in Kliniken

Dass im deutschen Kliniksystem zunehmend vieles im Argen liegt, zeigen auch die Daten des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) für die Jahre 2019 bis 2022. Obwohl die jährliche Patientenzahl seit 2019 um 13 Prozent von 19,2 auf 16,7 Millionen sank, klagen die Einrichtungen über wachsende Belastung. Betten müssen zunehmend gesperrt werden.

Auch die Anzahl der in den Daten einsehbaren jährlichen Todesfälle gibt zu denken: 2019 verzeichneten die Kliniken demnach rund 426.000 Verstorbene, 2020 waren es gut 424.000. Seit 2021 verzeichnet das Institut einen spürbaren Anstieg auf gut 447.000 sowie 455.000 in einer Klinik Verstorbene, also bis zu 7 Prozent, bei 13 Prozent weniger Patienten. An Corona dürfte das jedenfalls nicht liegen.

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