Meinung

Hoppla, Marokko will keine Hilfe aus Deutschland

Nach dem schrecklichen Erdbeben in Marokko hat die Regierung des Landes Hilfe aus Deutschland vorerst als nicht notwendig erachtet. Die deutsche Helferseele kocht und kommentiert das überhaupt nicht hilfsbereit.
Hoppla, Marokko will keine Hilfe aus DeutschlandQuelle: AFP © Fadel Senna

Von Tom J. Wellbrock

Marokko lässt zunächst nur Such- und Rettungsteams aus Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten ins Land. Auch viele andere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und die USA, hatten Marokko ihre Hilfe angeboten. Doch die Angebote wurden dankend abgelehnt.

In den Kommentarspalten deutscher Medien ist die Empörung groß. Von wegen: zu wenig Empörungspotenzial in Deutschland! Geht doch! Was sich die Machthaber in Marokko denn einbilden würden, auf deutsche Hilfe zu verzichten. Ein Unding sei das, unfair den Opfern gegenüber. Und überhaupt: Deutsche Hilfe ist perfekt organisiert, selbstlos und immer nur lieb gemeint.

Auch aus der FDP tönt das Unverständnis hervor, wie auf ntv nachzulesen ist:

"Aus der FDP wurde Kritik an der Haltung der marokkanischen Regierung laut. Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Parlamentariergruppe Maghreb, Carl-Julius Cronenberg, sagte dem Tagesspiegel: 'Dass Rabat bislang auf deutsche Hilfe verzichtet, ist unverständlich.' Cronenberg sagte, das THW sei 'leistungsstark und hilfsbereit'. 'Im Namen der betroffenen Familien appelliere ich an die marokkanische Regierung: Jetzt darf es nicht um falsch verstandenen Nationalstolz gehen, sondern allein um die schnellst- und bestmögliche Hilfe für die Erdbebenopfer." 

Nun wird es Zeit, ein paar Anmerkungen zu machen.

"Falscher Nationalstolz"?

Carl-Julius Cronenberg schüttelt für das marokkanische Verhalten unverzüglich einen Grund aus dem Ärmel: Falscher Nationalstolz sei das Problem. Offenbar verfügt der FDP-Politiker über Insiderwissen, das dem Normalsterblichen nicht zugänglich ist. Denn Marokko nimmt ja durchaus Hilfe an, nur eben nicht von jedem, und Deutschland gehört nun einmal nicht zum Kreis derer, von denen man sich Hilfe wünscht.

Denkbar, theoretisch vorstellbar, wäre beispielsweise, dass die Hilfe so gut organisiert ist, dass deutsche Faxgeräte in der aktuellen Situation nicht gebraucht werden. Vielleicht fürchtet man auch, dass die deutschen Helfer unnötig im Weg herumstehen und die Arbeiten behindern.

Cronenberg geht sogar so weit, als Stimme der betroffenen Familien zu sprechen, was man nur als Ungeheuerlichkeit bezeichnen kann. Kennt der Mann Familien in Marokko? Weiß er, was sie sich wünschen? Im deutschen Empfinden gilt es offenbar als ausgeschlossen, dass eine Katastrophe wie die des schrecklichen Erdbebens ohne deutsches Know-how bewältigt werden kann. Wir sind schließlich Weltmarktführer in allem Möglichen, oder wir waren es mal, sei's drum. Wie kann ein Land sich erlauben, auf deutsche Hilfe einfach zu verzichten?

Es geht offensichtlich ans Ego, wenn sich ein Land – noch dazu ein afrikanisches! – herausnimmt, seine Krise ohne Deutschland meistern zu wollen.

Hilfe ohne Gegenleistung?

Es gibt noch zwei andere Erklärungsansätze für die abgelehnte Hilfe der Marokkaner. Der eine geht tatsächlich in Richtung Nationalstolz, aber anders, als der liberale Cronenberg es meint. Vielleicht ist Deutschland einfach unsympathisch geworden. Niemand sollte glauben, dass die deutschen Auftritte auf internationalem Parkett in der Welt unbemerkt und unbewertet bleiben.

Nicht nur sie, aber vor allem unsere Außenministerin Baerbock (die Grünen) reist durch die Welt und verkündet überall, dass nur die deutschen Werte die guten und richtigen sind. Das gefällt nicht jedem, man glaubt es kaum. Hinzu kommt die Tatsache, dass aufgrund der deutschen Kriegsgeilheit Länder in Mitleidenschaft gezogen werden, die mit Fug und Recht sagen können, dass der Ukraine-Krieg nicht ihr Krieg ist. Trotzdem werden sie durch deutsche und europäische Sanktionspolitik in den Strudel aus Leid und Tod gezogen. Daran würden ein paar überzeugte Helfer des Technischen Hilfswerks auch nichts ändern.

Der zweite Ansatz ist die Bedingungslosigkeit, mit der Deutschland gern öffentlich hausieren geht, wenn es um Hilfe geht. Eben jene Bedingungslosigkeit ist nämlich ein Märchen. Wir erinnern uns an das Erdbeben in Syrien. Dazu schrieb Karin Leukefeld bei den NachDenkSeiten:

"Politiker und Medien spalteten die syrischen Erdbebenopfer in zwei Kategorien. Da waren diejenigen, die 'in regime-kontrollierten Gebieten' lebten, und die anderen, die 'in Gebieten unter Kontrolle von Rebellen im Nordwesten' lebten. Eine ehemalige ARD-Korrespondentin in Damaskus (2001-2008) und Nahost-Expertin kam in zahlreichen Interviews in Funk, Fernsehen und in den Printmedien zu Wort. 'Das Assad-Regime bestimmt, wem geholfen wird und wem nicht', so die Journalistin. Die 'Hilfsgüter (werden) in Warenhäusern des Regimes' gestapelt und später verkauft. Das 'Assad-Regime' versuche, die 'Erdbebenhilfe für sich zu nutzen', und das 'Regime' bekomme 'tonnenweise Hilfslieferungen', die täglich auf den syrischen Flughäfen Damaskus, Aleppo und Latakia landeten. 'Der ganz große Teil der Hilfe geht an das Assad-Regime', sagte sie. Obwohl 'die Mehrheit der Erdbebenopfer in Syrien gar nicht in den Regime-Gebieten lebt, sondern in den oppositionell kontrollierten Gebieten – nämlich mehr als 80 Prozent'. Bei diesen Menschen 'kommt diese Hilfe nicht an'." 

Liest man Leukefelds Bericht weiter, wird deutlich, dass die deutsche Berichterstattung nichts anderes als die übliche Propaganda ist. Doch Deutschland macht mehr als das, wie Tobias Riegel ebenfalls auf den NachDenkSeiten zitiert:

"Die Sanktionen treffen seit Jahren die Bevölkerung schwer und nicht die herrschenden Gruppen. Wegen der Sanktionen kommt nun auch die Erdbebenhilfe nicht in Syrien an, weil wir keine Gelder aus dem Libanon nach Syrien überweisen können. Die Menschen leiden unter Armut, Hunger und Krankheiten. Es ist menschenunwürdig, dass wir den Menschen nicht helfen können. (…)

Die Menschen leiden massiv und sterben. Wir können wegen der Sanktionen keine Medikamente oder lebenswichtige Güter an unsere Brüder und Schwestern schicken. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschlands muss sich als Regierung des wirtschaftlich stärksten Landes in Europa dafür einsetzen, dass die Sanktionen sofort aufgehoben werden."

Und Riegel schließt mit den Worten:

"Wer sich nun nicht für die sofortige Aufhebung der zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigten Sanktionen einsetzt, sollte zu einer Hilfe für die syrischen Bürger schweigen."

Diese abscheuliche Doppelmoral ist das eine. Das andere ist eine Frage, die hier nur angeschnitten, aber nicht abschließend beantwortet werden kann: Tut Deutschland überhaupt etwas ohne Gegenleistung? Man kann davon ausgehen, dass dem nicht so ist. Uneigennützigkeit gehört nun wirklich nicht zu den Tugenden deutscher Politik. Aus jeder Situation, und auch aus jeder Katastrophe, wird das Maximum an eigenen Vorteilen herausgeholt.

Wer also will beurteilen, ob deutsche Hilfe für Marokko nicht an Bedingungen geknüpft ist, die dem afrikanischen Land Nachteile bringen?

Und wer will die Möglichkeit in Abrede stellen, dass die marokkanische Regierung mehr weiß als die deutschen Moralapostel?

Machen wir uns nichts vor: Deutschland hilft niemals aus Selbstlosigkeit, sondern immer aus Selbstsucht.

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Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. 

 

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